Die Kälte kriecht durch die Fußsohlen, schleicht sich die Waden entlang in Richtung Oberschenkel. Drei bis fünf Grad Celsius hat es in den Deuster-Kellern und die Stunde wäre unerträglich lang, würde Frank Bier nicht so herzerwärmend erzählen. Der Student der Archäologie, Bauforschung und Denkmalpflege ist mit seiner Masterarbeit über die unterirdischen Anlagen im Norden Kitzingens so gut wie fertig. Er hat überraschendes zu Tage gefördert.
Auf einem kleinen Steinpodest haben wir Platz genommen, zwei Pappdeckel schützen den Allerwertesten vor Erfrierungen. Das Deckenlicht lässt die Länge des Gewölbes nur erahnen, der Schimmel an den Muschelkalksteinen und die staubübersäten Leitungen sind dafür nicht zu übersehen. Frank Bier kennt das Kellerlabyrinth wie kaum ein anderer, schließlich hat er mehr als zwei Monate hier verbracht. Von früh am Morgen bis spät in die Nacht hat er die Gänge und Mauern mit einem modernen und teuren 3D-Scanner der Uni Bamberg gescannt.
In einem vorgegebenen Maßstab rasterte er mit einem Rotationslaser die insgesamt 1 850 Quadratmeter große Kelleranlage. Rund zwei Stunden dauert so ein Scan, vier bis fünf Stunden brauchte der 35-Jährige pro Kellergang, insgesamt hat er 71 Scans durchgeführt und die Ergebnisse in eine Zeichendatei übertragen. Die Erkenntnis: Der vorliegende Plan von den Deuster-Kellern stimmt mit der Realität nicht überein. Zwei Gänge sind auf dem Plan, der aus den Jahren zwischen 1930 und 1950 datiert, falsch eingezeichnet, einen angeblichen Eiskeller konnte Bier nicht ausfindig machen und die ursprünglich angenommene Ausdehnung von 2 500 Quadratmeter ließ sich widerlegen – zumindest wenn man nur die sichtbaren Gänge in Rechnung stellt.
Was die wenigsten Kitzinger wissen und die Besucher nicht einmal erahnen: Kitzingen war nicht nur eine bedeutende Weinhandelsstadt, sondern auch eine bedeutende Bierbrauerstadt. Zwischen 1830 und dem Anfang des 20. Jahrhunderts lagerten riesige Mengen Bier in den Deuster-Kellern – die 50 000 Hektoliter, von denen immer die Rede ist, hält Bier für ein Gerücht. Nach seinen Berechnungen könnten es aber rund die Hälfte gewesen sein, eingelagert in 4 000 und 2 000 Liter-Fässern.
Bierbrauer Thomas Ehemann kaufte 1830 einen Acker „am Schießgraben zwischen zwei Wegen, mit dem darunter befindlichen Keller“ (Quelle: Archiv). In der Folge hat Ehemann das Kellersystem nach und nach ausgebaut, sein Exportbier machte ihn binnen kürzester Zeit zu einem der angesehnsten und reichsten Bürger Kitzingens. Er erwarb immer größere Flächen im Norden der Stadt und baute das Kellersystem systematisch aus. Die von Deusters heirateten in die Familie ein, verkauften 1885 die Brauerei Ehemann, die in eine Aktienbrauerei umgewandelt wurde. Doch die Zeit des Exportbier-Booms war mit der fortschreitenden Industrialisierung und neuen Kühlverfahren vorbei, die Eiskeller wurden überflüssig. Die Deuster-Keller gerieten in Vergessenheit. Dabei haben sie deutlich mehr zu bieten, als das Auge im ersten Augenblick aufnimmt – und ein touristisches Potenzial.
Die Geschichte der Deuster-Keller und ihrer Nutzung ist spannend. Das Kellergewölbe entstand zwischen den Jahren 1830 und 1910. Am heutigen Bootshaus legten die Schiffe an, um das Eis zu entladen und in die Kelleranlage zu transportieren. Wo heute der Globus-Markt steht, lagerten damals die Holz- und ….vorräte. Der Haupteingang zu der unterirdischen Anlage befand sich nur wenige Meter vom heutigen Eingang entfernt. Schienen führten in die Tiefe, auf denen das Eis transportiert wurde.
All das könnte man den Touristen oder auch Schulklassen auf spannende Weise zugänglich machen. Ohne Investitionen bleiben die Keller allerdings ein….. „Im Sommer ist es hier richtig neblig“, erzählt Frank Bier und geht ein paar Schritte, um nicht einzufrieren. Steigt die Temperatur draußen über die 25 Grad Celsius-Marke, kann es drinnen richtig ungemütlich werden. Auf 90 bis 95 Prozent schätzt Bier die Luftfeuchtigkeit ein. Wo im Winter der Gang deutlich zu erkennen ist, wabert in den Sommermonaten undurchsichtiger Nebel. Dabei ließe sich das Problem schnell lösen. Mehr als 30 Luftschächte hat der Student bei seiner Arbeit ausgemacht. Sind alle geöffnet, kann die Luft wieder zirkulieren. Der Schimmel an den Wänden hätte nicht mehr die Chance, weiter zu wachsen und etwaige Besucher könnten einen Aufenthalt in den Kellern richtig genießen.
„Als erstes würde ich aber das Leitungssystem erneuern“, sagt Bier. Alte Bierfässer oder andere Utensilien aus dem vorletzten Jahrhundert könnten zusammen mit einem oberirdischen Biergarten Neugierige anlocken. Ob es mit diesem Plan etwas wird, ist allerdings mehr als fraglich. Die Stadt muss schließlich sparen, neue Ausgaben sind tabu.
Auch eine weitere Erforschung der Anlage dürfte aus diesem Grund schwierig sein – dabei könnten unter der Kitzinger Oberfläche durchaus noch weitere Überraschungen lauern. Bier ist sich relativ sicher, dass es einmal einen Zugang von den Deuster-Kellern bis hinüber ans Landratsamt gegeben hat. Die Rede ist auch immer wieder von einem Rotwein-Keller, der angeblich aus dem 8. Jahrhundert stammt. „Das wäre schon eine kleine Sensation“, sagt er.
In wenigen Wochen will Bier seine Masterarbeit abgeschlossen haben. Den Kitzingern wird sie neue Erkenntnisse über einen wichtigen Aspekt ihrer Vergangenheit liefern. So sehr der 35-Jährige die Arbeit in den Kellern genossen hat, so sehr freut er sich jetzt auf neue Herausforderungen – am liebsten in südlichen Gefilden, wo die Temperaturen angenehmer sind.
Kitzingen/Ralf Dieter